Verliebt in eine Projektion oder in Wesenszüge?

Wenn Einbildung von Bildung käme

(Teil II)

Spiegelung als Beziehungsklebstoff

Ein Trugbild mit Dauerhaftigkeitspotenzial

Sie hielt sich für gemeint – er sah nur sich selbst.

Was wie eine Romanze beginnt, ist oft ein Akt mentaler Akrobatik. Der Mensch spiegelt, was er sehen will, nicht was da ist. Aus einem zufälligen Lächeln wird eine Zuneigung, aus einem Hallo ein Schicksal, aus einem Blickkontakt ein Versprechen. Keine Begegnung, sondern Projektion. Keine Wirklichkeit, sondern Wunsch. Ein Prozess, der sich entzieht, kaum spürbar, weil er sich so selbstverständlich anfühlt.

Er sieht in ihr die Muse. Die Lebensretterin. Das Ende aller Irrwege. Was sie wirklich sagt, tut, meint, verschwimmt. Sie ist längst nicht mehr sie selbst, sondern nur noch Fläche. Trägerin seiner brennenden Sehnsucht, der enttäuschten Ehejahre, der Hoffnung auf ein Leben, das endlich Erfüllung statt bloßer Wiederholung bedeutet.

Der Betrug, der keiner war

Wenn das Ich sich selbst belügt und dabei andere mitreißt

Einseitigkeit ist kein Delikt – zumindest nicht juristisch. Psychologisch jedoch ist sie eine Bombe mit Zeitverzögerung.

Wenn das, was einer liebt, nicht der andere Mensch ist, sondern das Bild, das sich der Liebende zurechtgelegt hat, dann entsteht kein Verhältnis zwischen zwei Menschen, sondern zwischen einer realen Person und einer Vorstellung. Und dieses Missverhältnis bleibt oft so lange unbemerkt, bis die Realität mit einer Härte einschlägt, die selbst das robusteste Wunschdenken pulverisiert.

Sie – die echte, komplexe, widersprüchliche Frau – verschwindet unter Schichten von Erwartungen, Fantasien und Zuschreibungen. Und wenn sie beginnt, sich zu zeigen, wie sie ist – mit Unvollkommenheiten, Brüchen, Widersprüchen – dann bricht nicht sie zusammen, sondern sein Bild von ihr. Der Trug endet, der Schmerz beginnt.

Die Katastrophe nach der Klarheit

Wenn das Erwachen mehr zerstört als erlöst

Es folgt kein Filmriss. Kein Drama mit Pauken. Ein langsames, schleichendes Abbröckeln der Illusion, das niemand genau datieren kann. Vielleicht der Moment, in dem sie lachte – nicht wie erwartet, nicht wie projiziert, sondern anders. Zu laut. Zu echt. Zu eigen. Vielleicht das Schweigen, das nicht passte. Oder der Blick, der nicht mehr zurückkam.

Dann geschieht, was geschehen muss. Enttäuschung, Schmerz, ein Seufzer, der aus einer anderen Welt zu stammen scheint. Das Gefühl, als würden sich im eisigen Wasser der Ernüchterung die Glieder auflösen. Die Wärme – diese süße Wärme, die man Liebe nannte – zieht sich zurück, Flut gleich, die nie zurückkehrt. Übrig bleibt das fahle Licht der Erkenntnis, in dem sich der Selbstbetrug offenbart, ein Tier, das man zu lange gefüttert hat.

Diagnose: Projektion

Ein Krankheitsbild ohne ICD-Code

Psychologisch betrachtet ist Projektion eine der ältesten Abwehrmechanismen, beschrieben von Freud, ausgeleuchtet von Jung, beobachtet von Generationen enttäuschter Liebender.
Man schützt sich, vor sich selbst, vor der Wahrheit, vor dem anderen. Man liebt nicht den anderen, man liebt die Idee, was der andere für einen selbst sein könnte.

Und so entsteht ein Verhältnis, das nur einen liebt, aber zwei zerstört.

Also, chin-chin!

Auf die Liebe oder auf das was man glaubt zu lieben.

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